Clara & Rosa

Clara Zetkin und Rosa Luxemburg waren ziemlich dicke miteinander – vielleicht sogar Besties. Ihre Gespräche drehten sich um Politik, Philosophie, sie lasen gegenseitig ihre Texte und Reden Korrektur, Zetkin besuchte Luxemburg auch regelmäßig im Gefängnis.
Aber dann verliebte sich Luxemburg in Zetkins Sohn. Sie hielt es vor ihr geheim. Vermutlich sprachen sie über alles – nur nicht über Sex.

Zetkin bekam es heraus. Erst ließ ihr weiblicher Instinkt es sie wohl erahnen, dann ließ dieser Verdacht sie einen Brief Luxemburgs an ihren Sohn öffnen. Damit wusste sie es. Und hielt es vor ihr geheim.

Monatelang quälte sie sich, schämte sie sich. Weil ihr der Gedanke, dass Luxemburg mit ihrem Sohn schlief, nicht behagte. Dass sie ihnen offenbar das Glück nicht gönnte, der Altersunterschied offensichtlich ein Problem für sie war. Dass sie die Privatsphäre ihres Sohnes missachtet hatte. Dass sie nicht mit ihrer Freundin darüber sprechen konnte.
Sie konnte es monatelang nicht. Sie hielt sich kurz, fand Ausflüchte, warum sie nicht nach Berlin zu Luxemburg fuhr. Suhlte sich in ihrem schlechten Gewissen.

Vermutlich merkte Luxemburg, dass ihre Freundin sich seltsam verhielt. Vielleicht wusste sie, warum. Aber auch sie sagte nichts.

Ich frage mich, warum. Und wie hätte es anders laufen können? Hätte Luxemburg „vorher“ fragen sollen, wie Zetkin es fände? Ich befürchte, es gab nicht die Gelegenheit. Dass Zetkin-junior und Luxemburg sich einfach gefunden hatten, das es „einfach“ passiert war. Damals wie heute, passiert sowas eben. Und dann war es zu spät.
Zum einen wird sie verliebt gewesen sein, und wäre wohl uneinsichtig, die Beziehung zu beenden, für den Fall, dass ihre Freundin nicht einverstanden gewesen wäre. Zum anderen hätte die Freundschaft so oder so einen Knacks gehabt – es war zu spät!
Und über solche Dinge redeten die Leute eben nicht so wirklich – damals wie heute …

Diese beiden Legenden, stark, hochintelligent und gefürchtet von den Gefürchteten. Ohne sie dürfte ich als Frau vermutlich nicht mein eigenes Geld verdienen, ohne sie wäre das Leben in diesem Lande wohl noch unerträglicher für mich.
Aber sie hatten auch das Problem, dass sie unangenehme Themen und ihre Gefühle schwer mit ihrer Freundin besprechen konnten.
Vor einem Saal vor reichen Männern das patriarchale Großkapital verteufeln, Arbeiterinnen Tipps zur Verhütung und zur Gehaltsverhandlung geben, Buhrufe und Morddrohungen ignorieren – ja.
„Ey, ich weiß, du schläfst mit meinem Sohn – können wir bitte darüber sprechen?“ – nein.

Sie haben es Monate später wieder hinbekommen. Weil Zetkin Luxemburg so sehr vermisste, dass sie sich am Riemen riss und ihre Gefühle in preußischer Manier unterdrückte – ihre Freundin war ihr wichtiger als ihre Scham. Wenn du nicht über deine Gefühle reden kannst, ignorier sie. Bevor sie dir alles kaputtmachen.
Sicher eine sehr ungesunde Einstellung, aber damals war es wohl ohnehin die Frage, wie lange das Gefühlsleben auszuhalten war, wenn der potenzielle Tod ohnehin immerzu in der Nähe war: Krankheit, Hunger, Krieg, Nazis – Letzteres riss Luxemburg wenige Jahre später gewaltsam aus Zetkins Leben. Wenigstens hatten sie bis dahin noch ein paar schöne Zeiten.

Bild: wikimedia
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