trügerisch faul

Die Angst als faul zu gelten, ist in unserer Gesellschaft tief verwurzelt. Und ein Instrument, damit der Kapitalismus, so wie er ist, funktioniert. Es sind jene Denkweisen, dass wir nur wert sind, was auf unserer Gehaltsabrechnung oder im Bankkonto steht; dass wir etwas leisten müssen, um etwas bedeuten zu dürfen, die uns und das System in dem wir leben krank machen. Wem kommt diese Einstellung eigentlich zugute?

Wenn du in dieser Leistungsgesellschaft nicht klarkommst, und dich keine sichtbaren körperlichen Dysfunktionen davon abhalten klarzukommen, bekommst du den Stempel FAUL. (Manchmal gelten auch Personen mit visualisierbaren Behinderungen als FAUL, denn etwas tun, muss der Mensch doch!) Um eklatantes Arbeiten zu beschreiben, mag ich das österreichische Wort »hackeln« ganz gerne. So vieles ist Arbeit, was aber nicht als solche anerkannt wird.

Das Pensum an Energie ist bei jeder Person unterschiedlich. Manche Leute sind nach einem Termin mit sozialen Interaktionen erschöpft und müssen zuhause auf der Couch Kräfte sammeln, andere blühen unter Menschen auf und gehen nach dem Meeting noch mit den Kolleg*innen tanzen.

Die eine steht mit den Lerchen auf, die andere ist am kreativsten, wenn es draußen dunkel wird.


Er benötigt, um ein Regal an die Wand zu schrauben, Vorbereitung, Ordnung und Ruhe. Sie baut derweil ohne Anleitung im Nebenzimmer einen Schrank  auf, überlegt sich einfach, während sie den Inbus dreht, welches Teil wohin gehört und was diese Plastikdinger sein sollen.

Hat, weil ihr Ergebnis mehr Raum einnimmt, sie in der gleichen Zeit mehr gearbeitet als er?

Ich bin der Überzeugung, dass ein Mensch grundsätzlich arbeiten will. Das Klischee des herumliegenden Faulenzers hat sich meiner Erfahrung nach noch nie erfüllt. Menschen, die ihre Tätigkeit nicht schaffen, sind oft zu sehr mit anderen Arbeiten beschäftigt, die vom Fertigwerden abhalten. Oder sie visualisieren, wie viel noch zu tun ist und kapitulieren vor dem sinnbildlichen Berg an Arbeit.


Diese Kapitulation vor dem Leistungsdruck macht sie krank, sie bekommen überdies den Stempel »FAUL« aufgedrückt und resignieren völlig. Von Schuldgefühlen zerfressen schaffen sie es oft nicht einmal mehr, das zu sortieren, was ihnen gut tut, die Arbeit zu tun, die sie erledigen könnten. Oder ihre getane Arbeit ist nicht sichtbar, der Erfolg für andere nicht erkennbar, so fühlt es sich für sie auch nicht so an, dass sie etwas geschafft haben.

Hinzu kommt, dass in unserer Gesellschaft, viele essentielle Tätigkeiten nicht als »Arbeit« gelten. Künstlerische Prozesse oder Care-Aufgaben sind da wohl die prominentesten Beispiele.

Um nicht als faul zu gelten, vor sich oder anderen, hackeln manche Menschen weiter an merkbaren Ergebnissen.

 

Was die anderen sehen, gilt als getane Arbeit, ich zähle als fleißig oder zumindest als nützlich!

 

Ihre Gesundheit bleibt dabei auf der Strecke, sie bekommen neben den vorhandenen seelischen Leiden ebenso körperliche. Sie können ihre Freizeit nicht mehr als solche genießen, weil sie im wahrsten Sinne erschlagen sind von ihrer Lebensweise.

 

Auch ich habe eine unsichtbare Krankheit; Jahre, in denen ich Angst hatte, als faul zu gelten, als Schmarotzerin, haben mich davon abgehalten, die Arbeit oder den Job ruhen zu lassen und gesund zu werden. Mir die Zeit zu nehmen, das Problem zu durchschauen, mich auf das zu konzentrieren, das mich glücklich macht. Bloß nicht anderen auf der Tasche liegen! In der Folge wurde meine Krankheit schlimmer, machte sich immer häufiger auch körperlich bemerkbar. Ich bekam ein chronisches Erschöpfungssyndrom, eine Stirnhöhlenentzündung, und immer wieder fiebernde Infekte, die mich für ein paar Tage von einem Alltag als fleißige Arbeiterin oder Person mit sozialen Kontakten abhielten. Nur halb genesen trieb es mich zurück ins Büro - hackeln! Ich wollte nicht als faul gelten.

Eine Freundin von mir gilt als faul, weil sie, anstatt ihre Wohnung sauber zu halten und schlank zu werden, lieber Videospiele spielt und sich Träumereien hingibt, wie ihr Leben laufen würde, hätte sie viel Geld und eine Person, die sich um sie kümmert. Sie flüchtet sich nachgerade in eine andere Welt. Dass sie das tut, weil die Realität sie überfordert, weil sie anders funktioniert als es dem System, in dem sie lebt, nützt, sehen die Menschen nicht. Sie sagen ihr nicht, dass sie einen Leitfaden braucht, dass sie sich Hilfe suchen darf. Sie erklären ihr, dass sie einfach nur faul ist, sich zusammenreißen und einen anderen Job annehmen soll.

Obdachlose Personen gelten als faul, als Systemversager*innen. Als ob sich diese Menschen dazu entscheiden, auf der rauen und kalten Straße zu leben, weil sie es geil fänden. Als würden sie freiwillig von Rauschgiften abhängig. Sie flüchten sich in eine andere Welt! Die Bestehende funktioniert für sie nicht, sie finden keinen Platz mit ihren Fähigkeiten. Sie resignieren so sehr, dass sie das System so weit wie möglich verlassen.

Eine andere Freundin unterrichtet an einer Sonderschule überwiegend Kinder von Hartz IV Empfänger*innen. Dass diese einerseits strukturell in dieser »Kaste« gehalten werden, ist ein Fakt. Sie erzählen meiner Freundin, dass sie keine Pläne für die Zukunft machen, außer dass sie Sozialgeld beantragen wollen, wenn sie groß sind.
Meine Freundin sagt, sie seien so dumm und faul.
Ich sage, wie sehr müssen sich diese Kinder vom System verlassen fühlen, dass sie jetzt schon wissen, dass für sie kein Platz darin ist? Dass sie entmutigt sind und, da ihre Familie aufgrund der finanziellen Situation nie Pläne schmieden konnte, sie es auch nie gelernt haben.

 

Als mein Stiefvater in Rente ging, langweilte er sich schon am dritten Tag so dermaßen, dass er fast durchgedreht ist. Er hat sich dann doch wieder einen Job gesucht und außerdem angefangen, im großen Stil Modeleisenbahnwelten zu bauen. Er war fleißig, er hatte eine Aufgabe - die menschliche Natur. Er hat buchstäblich bis zu seinem Tod gearbeitet.

Noch eine Freundin von mir: Sie ist Rollstuhlfahrerin, kann ihre Beine gar nicht und ihre Arme kaum bewegen. Tippen mit dem Smartphone oder einer Tastatur auf dem Schoß geht. Also tut sie das. Sie schreibt, sie ist online unterwegs, sie liest Korrektur, sie tröstet, sie ist da. Sie arbeitet hart, oftmals genauso viel wie ich, die ich einen funktionierenden Körper besitze, aber ihre Arbeit ist für viele nicht sichtbar. Dennoch tut sie, was sie kann, auch wenn es ihr schadet.
Die menschliche Natur ist schlicht darauf ausgelegt, Dinge zu TUN. Langweile und Monotonie auszuhalten ... nichts TUN zu wollen, ist immer ein Symptom von einer seelischen Dysfunktion.


Ich kenne nicht einen Menschen, der aus »Niedertracht« faul ist. Es sind unsichtbare Faktoren, die als faul Geltende davon abhalten, sichtbare Arbeit zu leisten.

Die vielen verschiedenen Bedürfnisse vieler verschiedener Menschen wurden ignoriert, als die Schablone »fleißig = nützlich« kreiert wurde. Die Leute, die von alledem am meisten profitieren, sind mehrheitlich tatsächlich jene, die physisch am wenigsten arbeiten. Aber da ihr Bankkonto eine übergroße Zahl aufweist (und ein Mensch ungefähr so viel wert sein soll, wie der von diesem Menschen besessene Geldwert), werden sie nicht als faul deklariert.

Erst wenn wir anerkennen, was jede einzelne Person leistet, wenn Arbeit nicht gleich Job bedeutet, und unsere Existenzberechtigung nicht mehr durch Zahlen festgelegt wird, kann unsere Gesellschaft gesund werden.

Lasst uns dieses Wissen verinnerlichen und weitertragen:
Du bist wertvoll! Du hast deinen Platz! Du allein definierst, wer du bist!!

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