Ich hatte mich hier eigentlich nie zuhause gefühlt. Wenn man bedenkt, dass ich dieses Bett sieben Monate lang mit Henry geteilt, an diesem Tisch jeden Morgen mit Tina meinen Kaffee getrunken, und auf diesem Sofa fünf Abende in der Woche mit ihnen und Rufus die Tagesschau angesehen habe ...
Seufzend wende ich meinen Blick ab und streife zurück in Henrys Schlafzimmer. Ich schaue noch einmal in den Schrank, aber ja, alle meine Slips und Socken sind raus und in meiner Tasche verstaut.
Im Bad steht seine Zahnbürste allein im Becher, einzig die roten Haare im Abfluss erinnern an mich. Rufus hat schon angekündigt, dass ein Großreinmachen ansteht, bevor das Baby kommt und dann
wird auch mein letzter Dreck entfernt.
Ich schlurfe zurück in den Flur und greife nach meiner Tasche. Unten höre ich die Tür gehen. Scheiße, sie wollten doch erst in zwei Stunden nach Hause kommen! So war es abgemacht. Ich sollte
meinen Schlüssel in den Briefkasten werfen und für immer aus ihrem Leben verschwinden. An den Stimmen höre ich, dass es Annika ist. Annika, die von Anfang an gegen mich gewettert hat. Annika, die
in ihrer pubertären Unbarmherzigkeit laut gelacht hat, als Henry ihnen vor drei Tagen eröffnet hatte, dass ich aus- und Sarah einziehen werde.
Ich möchte ihrem Blick entgehen, aber wenn ich das Haus verlassen will, muss ich die Treppe runter durch die Diele. Oder ich springe aus dem Fenster und hangle mich an der Tanne im Garten
hinunter. Ich fasse all meinen Mut zusammen und benutze die Treppen. Nun sehe ich, dass Annika nicht allein ist. Sie und ihre Begleiterin stieben auseinander, als sie mich bemerken.
»Was machst du denn noch hier?«
»Keine Sorge, ich bin am Gehen.«
»Bist du Sarah?«, fragt mich ihr Gast, die offensichtlich nichts von den Aggressionen zwischen der kleinen Schwester meines Ex und mir mitbekommen hat.
»Nee, das ist nur Friederike«, antwortet Annika für mich.
Im Gesicht ihrer Freundin spiegelt sich die Erkenntnis.
Nur Friederike. Die, die den Mann nicht halten konnte mit ihrer Gewöhnlichkeit. Ich war nicht gut genug, für einen arbeitslosen Zweiundzwanzigjährigen, der noch bei seinen Eltern lebt. Die, die
hätte wissen müssen, dass sein Schwanz zu wundervoll ist, als dass nur ich ihn genießen dürfte. Und dann ist eine mit Schwangerschaftsfolge von ihm angebumbst worden und hat die ganze Sache
zwischen ihnen offizieller gemacht, als ich, die nur mit bei seiner Familie wohnte und auf Kondome bestanden hatte.
Und nun stehe ich hier und werde für meine Vorsicht mit den Blicken zweier Fünfzehnjähriger bestraft. Ich drehe mich einfach um und gehe wieder hinauf.
Ewigkeiten sitze ich auf dem Bett. Ich kann nicht verschwinden. Natürlich werde ich zu meiner Mutter zurück, wie die letzten beiden Nächte, und Theresa hat gesagt, dass auf ihrem Sofa immer Platz
für mich sei. Aber die zwei haben mir vor einem drei viertel Jahr davon abgeraten, hier einzuziehen. Und nun muss ich mich neben meinem gebrochenen Herzen damit auseinandersetzen, dass sie recht
hatten. Warum tust du mir das an, Henry? Was habe ich dir getan?
Ich stelle mir vor, dass ich dieses Zimmer nicht auf meinen Beinen verlassen werde. Wenn dann werden sie mich hinausschleppen, mich rauswerfen müssen. Sie sollen sehen, was sie mir antun.
Ich habe ihre Spitzen ertragen, hielt Henrys Launen aus, tröstete ihn, wenn die nächste Absage kam, füllte brav den Kühlschrank und mähte den Rasen. Und als sie mir steckten, dass er sich in der
Nachbarschaft amüsiere, solange ich im Café war, belächelte ich sie. Ich hatte es wirklich nicht geglaubt. Was habe ich dir getan?
Ich war ein erbärmliches Frauchen, das ihren Mann glücklich sehen wollte. Dann konnte ich auch bis zum Schluss erbärmlich bleiben!
Hinter der Wand vernehme ich die Stimmen von Annika und ihrer Freundin. Offensichtlich denken sie, ich sei gegangen.
Und ich höre draußen das Auto. Ich bin bewegungslos. Türen klappen. Sarah kommt! Nebenan wird es nun ganz still. Als Nächstes geht die Haustür.
In wenigen Minuten werden sie mich finden, und ich ihnen eine Szene machen. Gleich wird Sarah sehen, in was für eine herzlose Familie sie einheiratet. Was für Gene das Wesen in ihrem Schoß in
sich trägt ...
Ich kann es nicht! Ich will nicht. Ich will gehen. Ohne dass sie mich noch einmal sehen. Ich höre Annika nach unten gehen, Gelächter. Ich muss an ihnen allen vorbei, wenn ich hinaus will. Oder
ich springe aus dem Fenster, klettere die Tanne hinab. Zuerst die Tasche auf den Rasen werfen, den ich lange nicht gemäht habe, dann vorsichtig hinaussteigen, die Äste hinunter. Als Kind bin ich
oft Bäume hinauf- und hinabgeklettert, es ist nicht schwer und ich bin es auch nicht.
Und manchmal, im Sommer vor wenigen Wochen, habe ich am offenen Fenster mit Henry gesessen und Witze darüber gemacht, dass wir über die Tanne vor seinem Fenster verschwinden könnten. Abhauen von
hier, weit weg.
Ich höre Schritte auf der Treppe.