Blog: Göttliche Recherche ... oder endlich: Der Ablauf einer evangelischen Trauung um 1912 in Gotteshäusern***

Das Brautpaar kommt gemeinsam an die Pforte der Kirchentür und wird vom Pfarrer begrüßt.

Sie schreiten hinter ihm zum Altar, derweil die Orgel spielt und die Gemeinde bereits auf den Kirchenbänken versammelt ist.

Das Jubelpaar nimmt auf den bekränzten Stühlen vor dem Altar Platz. Sodann wird das Eingangslied gesungen (z.B. Bis hierher hat mich Gott gebracht).

Es folgt der Eingangsgruß des Pfarrers, dann sein Eingangswort, ein Gebet und schließlich die Traufragen.

 

Zuerst an den Mann: „Vor Gott dem Allwissenden und in Gegenwart dieser christlichen Zeugen frage ich dich (N.N.): willst du diese Frau* als deine Ehefrau [Ehegemahl] aus Gottes Hand hinnehmen, sie lieben und ehren, in Freud und Leid nicht verlassen und den Bund der Ehe mit ihr heilig und unverbrüchlich halten, bis das der Tod euch scheidet? Ist dies deines Herzen Wille und Meinung, so sprich: Ja.“

Dann an die Frau: „Vor Gott dem Allwissenden und in Gegenwart dieser christlichen Zeugen frage ich dich (N.N.): willst du diesen Mann als deinen Ehemann [Ehegemahl] aus Gottes Hand hinnehmen, ihn lieben und ehren, ihm untertan sein**, in Freud und Leid nicht verlassen und den Bund der Ehe mit ihm heilig und unverbrüchlich halten, bis das der Tod euch scheidet? Ist dies deines Herzen Wille und Meinung, so sprich: Ja.“

 

Es folgt seine Aufforderung zum Ringtausch, zum Mann: „Rein wie das Gold sei eure Treue.“

Zur Frau: „Ohne Ende wie der Ring sei eure Liebe.

Und reicht euch die rechte Hand [und kniet nieder].“

 

Der Pfarrer spricht sodann seine Einsegnung: „Da ihr nun solches allhier öffentlich vor Gott und diesen christlichen Zeugen bekannt habt und euch darauf die Hand gegeben [und auch die Ringe gewechselt] habt“ und legt dabei seine rechte Hand auf die vereinten Hände des Paares „so segne ich als Diener unserer Kirche euren Ehebund als einen christlichen [oder: so traue ich euch als christliche Eheleute] im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen“

 

Er spricht ein weiteres Gebet für sie, das ihre Zukunft einmal mehr segnen soll (da gibt es viele verschiedene) und überreicht dem Mann schließlich eine Traubibel als Traugabe.

 

 

*hatte das Paar noch nicht oder erst kurz zuvor seine standesamtliche Trauung abgehalten (üblich war einen Tag zuvor bzw. am selben Tag), und der Pfarrer wusste, dass sie ihr eheliches Leben noch nicht aufgenommen hatten, bezeichnete er die Braut auch als Jungfrau.

 

**in der Berliner Kirchenagenda von 1928 wird davon abgesehen, der Frau das Untertan-sein zuzusprechen, da sich dies nicht mit der christlich-deutschen Gesinnung der evangelischen Kirche Berlin vertrug. Stattdessen konnte der Pfarrer die Frage folgendermaßen abwandeln: „Willst du ihm zugetan sein“ oder den Halbsatz komplett wegfallen lassen.

 

*** Evangelische Trauungen durften offiziell nur in Kirchen oder Privatwohnungen abgehalten werden. Allerdings verheirateten einige Berliner Pfarrer Paare auch in Gasthäusern oder gar in Parks. Dies wurde in den Rundschreiben des Pfarramtes immer wieder moniert, stieß aber offenbar auf wenig Beachtung. Am Ende wurde mehrfach erklärt, dass dergleichen geschlossene Ehen ungültig waren!

 

 

Vielen Dank an dieser Stelle an die lieben, geduldigen Kirchenmenschen und vor allem an Dr. Eckhard Zemmrich und Florian Kohlrusch

 


Nachtrag von Dr. Zemmrich vom 04.11.2014:

"Ein kleiner Hinweis noch: „Brautpaar“ ist etwas anderes als „Jubelpaar“. Letzteres ist ein Ehepaar, das den Jahrestag seiner Hochzeit feiert (Silberne, Goldene, …)."

Ich: "Ich habe das Wort Jubelpaar tatsächlich aus einer der Agenden entnommen. Hat sich die Bedeutung des Wortes in den letzten 100 Jahren abgewandelt oder haben Sie einen uralten Tippfehler aufgedeckt?"

Er: "Auch das also hochinteressant: Die Wortbedeutung ist heute eindeutig die, die im Wort „Jubilar“ zum Ausdruck kommt. Mit Tippfehlern war man damals noch recht sparsam, so dass ich eher von einem Bedeutungswandel ausgehe."