Sehr geehrte Frau Schwarzer,

wann immer ich Sie unter den Linden entlangflanieren sah, erstarrte ich zur grinsenden Salzsäule und war nie fähig, Sie anzusprechen und meine tiefe Dankbarkeit für das was Sie in Ihrem Leben bisher vollbracht haben, auszudrücken. Vermutlich würde es mir auch gar nicht gelingen, dermaßen spontan Ausdrücke dafür zu finden.

Die jüngste Debatte zwingt mich nun aber regelrecht, doch einmal das Wort an Sie direkt zu richten. Ich bin erschüttert, als ich Ihr Essay las.
Sie sagen, Prostitution und Pädophilie seien gleichzusetzen.
Sie meinten des Weiteren, Prostituierte hätten in den meisten Fällen als Kind sexualisierte Gewalt erlebt und wären daher nicht in der Lage, sich davor zu schützen.
Außerdem denken Sie, jede Form der Prostitution betreffe den Handel eines Mannes, der eine Frau für erzwungenen Sex bezahlt.
Ich habe dazu einige Fragen:
Wussten Sie, dass die wenigsten Menschen, die sich an Kindern vergreifen, tatsächlich pädophil sind?
Sprechen Sie Menschen auf Grund derer Vergangenheit einen freien Willen und einen funktionierenden Verstand ab?
Und haben Sie schon von Männern gehört, die andere Männer für Sexdienste bezahlen? Oder um das weiterzuführen: Frauen, die für Sex bezahlen? Ist dies keine Prostitution?
Ich denke, zu behaupten jede Form der Sexarbeit sei Zwangsprostitution, ist genauso kurz gedacht, wie die Aussage, Fellatio allgemein käme Unterdrückung des Aktiven gleich.
Auch ich habe in meinem Leben Gewalt erlebt. Bin ich deswegen nicht in der Lage, für mich selbst zu entscheiden? Wissen Sie: ich finde gerade darum, bin ich diejenige, die weiß, was am besten für mich ist.

Bitte bedenken Sie, dass wir keinen Fortschritt erzielen, indem wir die vermeintlichen Opfer entmündigen.
Leider scheinen Sie genau das zu tun. Ähnlich christlicher Fundamentalisten oder fanatischen Islamisten unterstellen Sie außerdem, dass der Körper der Frau gleich ihrer Sexualität ist. (Ist dies bei Ihnen selbst etwa der Fall?) Und weiter, dass der Verkauf dessen, einem Seelenhandel gleichkommt. Wie wenden Sie das dann auf die Freier oder im generellen auf Männer an? Funktioniert nur der männliche Körper getrennt von seiner Sexualität und seiner Seele?

Ich muss sagen: Ich bin so viel mehr als mein Venushügel. Außerdem teile ich diesen nur mit Menschen, die ich ebenso liebe. Und was Fellatio angeht: Mir ist durchaus klar, dass wenige sich darüber bewusst werden, dass der Penis dabei sprichwörtlich im Maul des Löwen platziert wird - Ihnen hätte ich das aber nicht zugetraut!
Was ich hingegen verkaufe, sind meine Kreativität, meine Ideen, meine Worte, die ich unter großen Anstrengungen meines Körpers nächtelang niederschreibe - also zweifelsohne ein riesiges Stück meiner Seele. Ergo gehe ich mit jedem Buch, das ich veröffentliche, mit jeder Lesung, die ich abhalte, einen Seelenhandel ein und verkaufe Energie, die mein Körper aufbringen musste. Macht mich das zu Hure? Ist somit nicht jede Frau, die in irgendeiner Form Geld verdient eine? Auch Sie, die damals für 3 Franc die Stunde putzen gingen? Und heißt das wiederum, Frauen können alles versuchen, am Ende sind sie sowieso nur Ware? Vermutlich schweife ich ab, denn für dermaßen sexistisch würde ich Sie niemals halten.

Sie werden hoffentlich nicht aufhören, für die Rechte der Frau zu kämpfen. Das machen Sie richtig - genau wie ich wollen Sie Menschenrechte weiterhin verbessern.
Ich bitte Sie nur inständig, die wahren Anliegen derer die Sie schützen möchten, auch ernst zu nehmen. Bevor Sie etwas für jemanden fordern, machen Sie sich die Mühe und setzen Sie sich mit demjenigen an einen Tisch. Die Politik hat dies offenbar versäumt. Warum gehen Sie dann nicht mit gutem Beispiel voran?
Vertrauen Sie mir. Gerade, weil diese Menschen früher eventuell sexualisierte Gewalt erlebt haben und heutzutage mit intimer körperlicher Arbeit ihr Geld verdienen, wissen sie sehr genau, was für sie richtig ist.

Ich verbleibe in tiefer Verbundenheit und mit hochachtungsvollen Grüßen.
Ihre Claudi Feldhaus