Der Barmann und der Gitarrist


Seine Liebe war einfach zu grell - seine anhimmelnde Anhänglichkeit, wie er sie seine Sonne nannte. Sie mochte niemandes Zentrum sein! Lana wollte nur noch raus, verschwinden. Am besten gleich in einen tiefen Wald laufen und sich in einer schwarzen Höhle verkriechen. Doch schließlich wurde sie von der schummrigen Beleuchtung in der Bar an der Ecke angezogen.

Der Barmann lächelte verschmilzt, als sie sich an den kaffeefarbenen Tresen setzte. Eine einzelne gelbe Glühbirne leuchtete über der Zapfsäule, die digitale Kasse gab ein blaues Licht ab. Ansonsten brannten ein paar Tischleuchten auf den Fenstersimsen, die wenigen dunkelbraunen Tische mit den schwarzen Ledersesseln verschwanden im Dunkel.
Der Barmann reichte ihr eine angefangene Packung Zigaretten rüber. Weil sie so aussah, als bräuchte sie die jetzt, wie er meinte. Eher bereitwillig als dankbar nahm Lana sie entgegen und ließ sich gleich für die Erste Feuer geben. Tief inhalierend sah sie sich um. Nun bemerkte sie den dürren Brillenträger, der entfernt vom Tresen in einem der glänzenden Ledersessel saß und kaum merklich auf seiner Gitarre klimperte.
Sie bestellte ein Bier und stürzte es hinunter, ein zweites um sich daran festzuhalten. Wie ein Schluck Wasser hing sie bald auf dem Barhocker und fixierte die dunkle Arbeitsplatte vor sich.
„Willst du drüber reden?“, erkundigte der Barmann irgendwann.
Sie straffte langsam die Schultern und sackte dann wieder zu einem Häuflein zusammen. Der Gitarrist stellte sich neben sie und gab ein leeres Weizenbierglas ab. „Volltanken, Kollege?“, fragte ihn sein Gegenüber.
Nicht, dass es sie interessierte, wollte Lana wissen: „Ihr kennt euch?“
„Meistens“, antwortete der eine ohne sie anzusehen und deutete dem Barmann eine Flasche Wein zu öffnen. Dieser brachte zwei Gläser.
„Wozu?“, fragte er ihn.
„Teil mit ihr!“, gab er zurück.
Ihnen wurde dunkler Bordeaux eingeschenkt, im Glanz der blauen Kasse wirkte er nachtschwarz.
Daraufhin pflanzte der Gitarrist seinen nicht vorhandenen Hintern auf den Hocker zu Lanas Rechten.
„Du musst das nicht tun!“, sagte Lana. Auch sie vermied es, ihn anzusehen.
„Ich weiß“, wieder kein Blick.
Da reichte sie ihm die Schachtel rüber und er zog sich eine Zigarette daraus. In aller Ruhe steckte er sie an und nahm einen Zug. Dann hielt er ihr sein Glas hin und ohne die Glimmstängel von den Lippen zu nehmen, rief er: „Stoß an!“
„Ich vertrag keinen Rotwein!“, antwortete sie.
„Und ich rauche nie“, entgegnete der Gitarrist.
Jetzt erst merkte sie, dass sein Blick sie traf, und wandte den Kopf. Hinter seinen eckigen schwarzumrandeten Brillengläsern blitzte ein graues Augenpaar und es schien das einzig helle im Raum. Sie stießen unter einem dumpfen Klang an und tranken. Der Wein war süß, Lana nahm nur kleine Schlucke, die Umgebung drehte sich langsam.
Irgendwann stellte sich der Barmann dazu, der Gitarrist deutete ihm, sich auch ein Glas einzuschenken. „… oder wolltest du heute früher Schluss machen?“
„Hab niemanden der mich erwartet“, entgegnete der.
„Ich schon“, lachte Lana und zündete sich noch eine an.
„Es gibt jene, die warten und solche, auf die man wartet. Besser du bist Zweiteres“, sagte der Gitarrist, ohne dass ihm die Zigarette von den Lippen fiel. Dafür dass er kein Raucher war, bekam er das erstaunlich gut hin.

Jetzt stieß der Barmann mit ihr an. Seine Iriden waren dunkel wie die Möbel. Sie entging seinem Blick.
„Nana!“, rief er darauf, „Angucken! Sonst gibt‘s sieben Jahre schlechten Sex!“
Wie über hatte sie diesen Satz, doch brav sah sie ihm in die Augen und er lächelte erneut so schelmisch.
Bald war die Flasche geleert und sie bekamen wieder Bier, in das sie schweigen konnten. Der eine holte seine Gitarre und zupfte etwas an ihr herum.
„Singst du auch?“, fragte Lana.
„Nicht für euch.“
Die Zigaretten wurden leer, sie lauschten dem stimmigen Tönen und starrten dem Gitarristen auf die Klavierfinger.
Lanas Kopf wog schwer. Sie senkte die Lider, stützte das Kinn in der Handfläche und genoss das Dunkel. Hörte, wie der eine seine Melodie übte und die Noten immer feiner klangen. Im Takt schien der andere das Kleingeld zu zählen.

Irgendwann schloss der Barmann die Kasse ab und verschwand ins Hinterzimmer. Lana öffnete die Augen und wurde zum ersten Mal seit langem nicht von grellem Licht erschlagen. Sie fühlte sich in wohliger Düsternis. Erkannte nur die schönen Hände des Gitarristen vor sich.
Dieser hörte auf zu spielen, lehnte das Instrument an seinen Hocker, trank den letzten Schluck Bier, schließlich sah er sie an. Sie klimperte langsam mit den Wimpern.
Dann küsste er sie. Seine Zunge schmeckte immer noch wie der Wein. Süß, warm und dunkel. Sie standen auf, er nahm sie an die Hand, seine Gitarre in die andere. Der Barmann kam vor, löschte schweigend die Glühbirne und sie traten auf die schwarze Straße. Weit mussten sie nicht laufen, das Treppenhaus blieb duster.
„Licht kaputt?“, fragte Lana.
„Nein“, sagten sie gleichzeitig.
Während der Gitarrist eine Tür aufschloss, schmiegte der Barmann sich an ihren Rücken. Ein Schauer warm und süß wie der Wein durchdrang sie.
Die Stehlampe erleuchtete das kuschlige Wohnzimmer schemenhaft, von draußen wehte der Mitternachtswind herein. Der eine schloss die Fenster, aber nicht die Vorhänge. Der andere umfasste sie von hinten und zog ihr das Shirt über den Kopf. Dann versenkte er die Lippen in ihrem Nacken. Der Gitarrist sah ihnen vom Fensterbrett aus zu, und als sie sich auf das breite Sofa gelegt hatten, nahm er die Brille ab und kam zu ihnen herüber.

Lana weckte das weiße Sonnenlicht eines neuen Tages. Sie war allein. Die Scheiben waren noch immer geschlossen, in der Luft hing Zigarettenrauch und Biergestank. Jetzt erst erkannte sie, wie winzig das Zimmer war. Vollgemüllt, eng und muffig. Ihr Rachen schmeckte nach Galle und Salz. Sie taumelte zum Fenster, aber sie bekam es nicht auf. Mit zusammengekniffenen Augen suchte sie ihre Sachen zusammen und warf sie über. Sie tastete sich auf den schmalen Flur, zusätzlich beengt durch ein riesiges Bücherregal. Lana ergriff panisch die Türklinke und stolperte ins Treppenhaus. Endlich draußen schlug ihr wieder die Sonne in Gesicht. Doch die Luft war frisch und warm.