Drachentöter

Geschichtenerzähler war ich seit Anbeginn meiner Zeit. Bevor ich zu schreiben vermochte, malte ich Bildergeschichten. Als ich noch nicht so gut im Wortfinden war, zeichnete ich Comics. Immerfort handelten sie von starken Mädchen.
So war das, ich konnte mit Jungs nicht so viel anfangen.
Die Mädchen waren in erster Linie klug, körperlich kräftig, ebenso schön und ja, Prinzessinnen. Sie hatten güldene Dinge, prächtige Kleider, epische Paläste, niedliche Tiere als Freunde. Und sie beherrschten die Kampfkunst, zumeist mit dem Schwert und töteten ihre Drachen selber.
Ich versuchte mich oft darin, auch Jungs zu zeichnen. Doch gelangen sie eher uninteressant. Im Verlauf einer weiteren Zeichnung ersann ich eines Tages einen Mann - es war klar, dass er neue Attribute mitbringen musste. Ich zeichnete den Kopf, gab ihm wuscheliges Haar, bedachte, wie ich es aus Mangas gelernt hatte, den dickeren Hals und dann folgen die Schultern. Die muteten auf einmal so breit an! Erstaunt blickte ich auf den die nicht mal halbfertige Skizze und liebte die Schultern jetzt schon. Das Stück Kerl, das ich da geschaffen hatte, gefiel mir besser als alle anderen männliche Figuren, die meinem Stabilo bis dato entsprungen waren. Den restlichen Körper anzupassen, erschein plötzlich so leicht.
Erst dann nahm ich die breitschultrigen Männer in der realen Welt auch als solche wahr. Da war ich fast vierzehn.
Es folgte die obligatorische Verwirrung der Pubertät und öfter als je zuvor flüchtete ich mich in meine Fantasie. Die starken Mädchen wichen nicht, sie wurden nur noch weiblicher in ihren Zügen. Es kamen Typen hinzu, die mit jedem Mal größer, ansehnlicher, muskulöser schienen. Doch keiner von ihnen musste je den Drachen töten. Ich stellte sie den Heldinnen wohl dekorativ zur Seite, sodass sie sich nach getaner Arbeit an ihnen laben konnten. Ja, ich weiß - ich war und bin ziemlich sexistisch.
Die Kerle durften also gerne stark sein, ich wollte mächtige Männer. Aber ich brauchte sie nicht, die Frauen schafften es auch allein.

Heute fiel mir auf, dass ich genauso bin: Mein Mann soll groß, schön, erhaben, bitteschön breitschultrig sein und im Zweifelsfalle in der Lage sein, den Drachen zu töten. Letztlich doch will ich das lieber selber tun.